Die Sexyness der Berliner Verwaltungsreform

Dass ich eine Ver­wal­tungs­re­form ein­mal sexy und span­nend fin­de, hät­te ich frü­her auch nicht gedacht. Und doch bin ich gro­ßer Fan — hier mei­ne Rede dazu im Abge­ord­ne­ten­haus Ber­lin.

Sehr geehr­te Frau Prä­si­den­tin,

Sehr geehr­te Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen,

Lie­be Ber­li­ne­rin­nen und Ber­lin,

  • kein Ter­min beim Bür­ger­amt,
  • eine Wahl die teil­wei­se, eine Wahl, die sogar ganz wie­der­holt wer­den muss­te,
  • 18 Ver­fah­rens­schrit­te für einen Zebra­strei­fen auf der Stra­ße — oder bild­lich gespro­chen: dafür, dass ein klein wenig Far­be auf die Stra­ße gepin­selt wird.

Bei­spie­le, die jede Ber­li­ne­rin, jeder Ber­li­ner kennt.
Bei­spie­le, die dafür ste­hen, dass Ber­lin nicht so funk­tio­niert wie es soll­te.
Bei­spie­le, die von jeder Ber­li­ne­rin und jedem Ber­li­ner end­los ergänzt wer­den kön­nen.

Und das wir in Ber­lin jah­re­lang um einen Zaun strei­ten, erweckt eher das Gefühl, im Vor­stand eines Klein­gar­ten­ver­eins zu sein, als Poli­tik für eine inter­na­tio­na­le Metro­po­le zu machen.

Und ver­zeiht lie­be Klein­gärt­ne­rin­nen und Klein­gärt­ner: Ihr hät­tet natür­lich kei­ne fünf Minu­ten gebraucht, um uns zu sagen, wer wo wel­chen Zaun bau­en darf — und wer nicht. Ber­lin weiß es bis heu­te nicht so wirk­lich.

Dass dies so ist, dass wir in Ber­lin mehr um Zustän­dig­kei­ten strei­ten, als um die gro­ße Linie der Poli­tik; dass es das Land nicht las­sen kann, auch im kleins­ten Mikro­ma­nage­ment in die Bezir­ke ein­grei­fen zu wol­len; dass es sich alle dar­in ein­ge­rich­tet — ja regel­recht gemüt­lich gemacht haben — am Ende mit dem Fin­ger auf den oder die ande­re zu zei­gen.

All das zeigt, wie bit­ter nötig es ist, dass wir Ber­lins Ver­fasst­heit, dass wir Ber­lin Maschi­nen­raum gründ­lich auf­räu­men, neu ver­ka­beln und so zum lau­fen brin­gen. Und zwar:

  • mit einer kla­ren und trans­pa­ren­ten Auf­ga­ben­ver­tei­lung zwi­schen Land und Bezir­ken.
  • Mit einer ein­deu­ti­gen Tren­nung zwi­schen steu­ern­den und ope­ra­ti­ven Auf­ga­ben.
  • Und mit einer Finanz­po­li­tik, in der die Zutei­lung einer Auf­ga­be auch mit Res­sour­cen und finan­zi­el­len Mit­teln unter­legt wird.

Sehr geehr­te Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen,

das nun vor­lie­gen­de Lan­des­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­setz und die Ände­run­gen der Ber­li­ner Ver­fas­sung sind Mei­len­stei­ne für ein bes­se­res Ber­lin. Und wir aus der Oppo­si­ti­on her­aus unter­stüt­zen die­sen Weg aus­drück­lich und sind ger­ne und kon­struk­tiv mit an Bord. Denn es ist unser aller gemein­sa­mer Auf­trag, Ber­lin auf ein bes­se­res Fun­da­ment zu stel­len. Wir brau­chen eine Repa­ra­tur, die über die nächs­ten Regie­rungs­wech­sel hin­weg hält.

Des­halb an die­ser Stel­le mei­nen gro­ßen Dank für den bis­her so par­ti­zi­pa­ti­ven und guten Weg, der bis in die Zivil­ge­sell­schaft breit getra­gen wur­de.

Dan­ke für die Ein­bin­dung auf Augen­hö­he und für die vie­len vor allem von der Sache gepräg­ten Run­den und Dis­kus­sio­nen. Mein Dank gilt natür­lich dir, Kai Weg­ner, als Regie­ren­der Bür­ger­meis­ter trägst du dafür die Haupt­ver­ant­wor­tung. Aber auch Fran­zis­ka Gif­fey hat als Regie­ren­de schon ers­te Grund­la­gen für die­se Ver­wal­tungs­re­form gelegt.

Aber ver­zeiht mir bit­te, wenn ich an die­ser Stel­le einer ande­ren Frau beson­ders dan­ken will:
Lie­be Mar­ti­na Kle­ment, was du bis­her für Ber­lin geleis­tet hast, ist wirk­lich sehr beein­dru­ckend. Und wie lösungs­ori­en­tiert du den Pro­zess gestal­tet hast, wie du dich erst infor­miert und dann gehan­delt hast, ist vor­bild­lich. Dafür dir und dei­nem gesam­ten Team: Dan­ke!

In Zei­ten wie die­sen, in denen die Demo­kra­tie so sehr unter Beschuss steht, ist es wohl­tu­end zu erle­ben, dass wir von der Spit­zen­run­de bis hin zum kleins­ten Work­shop immer in der Sache dis­ku­tiert und gerun­gen haben. So gut wie immer war es mög­lich, For­mel­kom­pro­mis­se, Deals oder sach­frem­de Kopp­lun­gen zu ver­mei­den.

Lei­der haben wir es am Ende jedoch nicht ganz geschafft, alle Eini­gun­gen durch zu tra­gen. Eben nicht alles ent­spricht den bis­he­ri­gen Ver­ab­re­dun­gen mit den Bezir­ken und den demo­kra­ti­schen Frak­tio­nen. Es wird nun am Par­la­ment lie­gen, dies zu kor­ri­gie­ren.

Lie­be Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen,

lasst uns alle, die wir hier sit­zen und für Ber­lin Ver­ant­wor­tung tra­gen, die par­tei­po­li­ti­schen Spiel­chen, das breit­bei­ni­ge Macht­ge­tö­se für einen Moment zur Sei­te legen und nicht wie­der alles mit allem ver­mi­schen und sach­fremd her­um dea­len. Lasst uns auf den letz­ten Metern für Ber­lin in der Sache zu guten Lösun­gen kom­men!

Wir brau­chen eine gute und trag­fä­hi­ge Lösung für die Eini­gungs­stel­le.

Denn hier wird sich ent­schei­den, ob eine kla­re und trans­pa­ren­te Auf­ga­ben­zu­tei­lung in Zukunft über­haupt mög­lich und auf Dau­er durch­zu­hal­ten ist.

Und dafür müs­sen wir, so glau­be ich, mit einer doch für vie­le hier über­ra­schen­den Erkennt­nis begin­nen:

Auch Sena­to­rin­nen und Sena­to­ren sind Men­schen. Ganz nor­ma­le Men­schen. 
Mit Stär­ken und Schwä­chen.
Ganz mensch­lich eben.
Mal bes­ser, mal schlech­ter.
Aber eben Men­schen.

Und natür­lich wis­sen sie, genau­so wie ich, genau­so wie jede und jeder ande­re hier im Ple­num, es auch mal bes­ser. Sogar auch mal bes­ser als ein Bezirk.

Und dann ist es ganz nor­mal und mensch­lich, dass man dann eben ein­grei­fen will, dass man dann das machen will, von dem man über­zeugt ist, dass es das Rich­ti­ge ist.

Aber nun kann das eben eine grund­sätz­li­che Sache sein oder eben Mikro­ma­nage­ment.

Ist es das Grund­sätz­li­che, dann ist es eine gesamt­städ­ti­sche Steue­rung, dann gehört es ins Land.

Aber wenn es Mikro­ma­nage­ment ist, dann eben nicht. Und dann brau­chen wir ein Sys­tem, das uns vor der mensch­li­chen Nei­gung schützt, auch im kleins­ten Mikro­ma­nage­ment mit­mi­schen zu wol­len.

Haben wir das nicht, so wer­den wir zuse­hen kön­nen, wie die kla­re Auf­ga­ben­ver­tei­lung jeden Tag ein klei­nes biss­chen unkla­rer wird. Und genau das müs­sen wir ver­mei­den. Las­sen Sie uns hier eine gute Lösung fin­den, indem wir uns an ande­ren Pro­zes­sen ori­en­tie­ren oder das Par­la­ment mit ein­bin­den.

Lie­be Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen,

wir müs­sen eben auch den Mut und die Kraft haben, los­zu­las­sen. Haben wir den Mut, Auf­ga­ben ent­we­der ganz bei den Bezir­ken oder ganz im Land anzu­sie­deln. 

Es gibt vie­les, bei dem die Bezir­ke bes­ser wis­sen, was gut vor Ort ist. Wo ein Spiel­platz, wo eine Bank und wo Ver­kehrs­be­ru­hi­gung mehr Sinn macht.

Und was die Men­schen vor Ort wirk­lich brau­chen — ein Senio­ren­treff oder eben eine Krab­bel­grup­pe.

All das wis­sen die Ver­ant­wort­li­chen vor Ort, die näher an den Bür­ge­rin­nen sind, viel bes­ser, als eine Ver­wal­tung, die viel­leicht am ande­ren Ende der Stadt sitzt und noch nie vor Ort sein konn­te.

Aber las­sen Sie uns im Gegen­zug dafür Auf­ga­ben, ein Bei­spiel könn­te hier die Käl­te­hil­fe sein, ganz auf Lan­des­ebe­ne holen, wenn ein stadt­wei­tes Vor­ge­hen mehr Sinn macht.

Ich beto­ne dies so deut­lich, denn mit dem vor­lie­gen­de Lan­des­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­setz und der Ver­fas­sungs­än­de­rung haben wir die Ver­wal­tungs­mo­der­ni­sie­rung noch lan­ge nicht geschafft. Ganz im Gegen­teil.

Das Haus­auf­ga­ben­heft ist noch voll. Und zwar mit sehr gro­ßen Bro­cken: 
1. Auf­ga­ben­ver­tei­lung
2. Ein­füh­rung einer poli­tik­feld­be­zo­ge­nen Bud­ge­tie­rung
3. Vor­la­ge eines Kon­ne­xi­täts­ge­set­zes

Was heißt das?

Ers­tens: Die Auf­ga­ben müs­sen wir noch den jewei­li­gen Poli­tik- und Quer­schnitts­fel­dern zuwei­sen. Über 4.000 Auf­ga­ben, die wir sor­tie­ren und glie­dern müs­sen: Wel­ches Poli­tik­feld? Ist es steu­ernd oder orga­ni­sa­to­risch? Ist es Bezirk oder Land?

Schon die Samm­lung der Auf­ga­ben war erhel­lend! Über 400 Auf­ga­ben, die nie­man­dem zuge­ord­net waren: 

  • Man­che wur­den ein­fach von irgend­wem mit­ge­macht
  • Man­che blie­ben lie­gen
  • Und bei den meis­ten: biss­chen machen, biss­chen lie­gen las­sen

Die­se Zutei­lung wird auch dar­über ent­schei­den, ob die Behar­rungs­kräf­te doch noch gewin­nen oder wir wirk­lich einen Schritt nach vor­ne gehen. Denn Auf­ga­ben neu zu ord­nen, heißt, dass wir an einer Stel­le Auf­ga­ben weg­neh­men wer­den, um sie an einer ande­ren Stel­le inhalt­lich pas­send zu bün­deln.

Ein Bei­spiel: Dass die Wär­me- und Ener­gie­pla­nung in meh­re­ren Senats­häu­sern ange­sie­delt ist, ist falsch und ver­kom­pli­ziert eine gesamt­städ­ti­sche Steue­rung. Wenn wir es aber an einer Stel­le zusam­men­füh­ren, müs­sen wir Auf­ga­ben und Res­sour­cen an der ande­ren Stel­le ent­zie­hen. Und das mag nie­mand ger­ne. Aber genau das wird nun pas­sie­ren müs­sen.

Dass wir jetzt schon wie­der zu vie­le und zu klein­tei­li­ge Poli­tik­fel­der haben, macht mir hier­bei gro­ße Sor­ge. Wir müs­sen Ein­hei­ten bau­en, die dau­er­haft zusam­men­ar­bei­ten und nicht stän­dig zwi­schen den Senats­ver­wal­tun­gen hin und her gescho­ben wer­den.

Zwei­tens: Wir müs­sen jetzt damit begin­nen eine poli­tik­feld­be­zo­ge­ne Bud­ge­tie­rung zu imple­men­tie­ren. Dies wird nicht von heu­te auf mor­gen funk­tio­nie­ren, aber wenn wir es ernst mei­nen, dass in Zukunft alle Senats­häu­ser auch die Ver­ant­wor­tung für ihr gesam­tes Poli­tik­feld tra­gen, dann müs­sen wir auch begin­nen die­ses Poli­tik­feld im Haus­halt dar­zu­stel­len.

Oder wie heißt es so schön: Der Haus­halt ist in Zah­len gegos­se­ne Poli­tik. Wer dies ernst meint muss eben auch den neu­en Ansatz der Poli­tik­feld­be­zo­gen­heit in Zah­len gies­sen.

Und Drit­tens: Der Erfolg der Ver­wal­tungs­mo­der­ni­sie­rung wird sich auch dar­in zei­gen, ob wir die Kon­ne­xi­tät wirk­lich mit Leben fül­len und wir nicht nur heh­re Zie­le in die Ver­fas­sung schrei­ben. Es wird sich dar­an zei­gen, ob noch vor den Haus­halts­be­schlüs­sen ein Kon­ne­xi­täts­ge­setz vor­ge­legt wird oder nicht.

Posi­tiv heißt Kon­ne­xi­tät das, dass wir Auf­ga­ben, die wir zutei­len, auch mit Res­sour­cen wie Per­so­nal und Finan­zen unter­le­gen. Nega­tiv heißt das aber auch — und da dür­fen wir uns nichts vor­ma­chen — dass wir eben auch fest­stel­len wer­den, dass wir nicht für alles Res­sour­cen haben. Dass wir Auf­ga­ben nicht mehr ein­fach so zu den Bezir­ken wei­ter dele­gie­ren kön­nen, ohne zu sagen, wie die­se auch umge­setzt wer­den sol­len.

Wir wer­den eben poli­tisch ent­schei­den müs­sen, wel­che Auf­ga­ben wir mit den vor­han­de­nen Res­sour­cen erfül­len — und wel­che eben nicht.

Das wir die Bezir­ke bis­her hier allei­ne las­sen, dass wir die Bezir­ke bis­her hier immer mehr über­las­ten, dass muss ein Ende haben.

Sehr geehr­te Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen,

Ich freue mich auf die nächs­ten Mona­te. Wirk­lich. Man sagt ja, die Schön­heit liegt im Auge des Betrach­ters. Dass ich eine Ver­wal­tungs­re­form ein­mal sexy und span­nend fin­de, hät­te ich frü­her auch nicht gedacht.

Aber mir geht es da wie fast allen Ber­li­ne­rin­nen und Ber­li­nern. Ich kann die Lis­te der Pro­ble­me nicht nur run­ter­rat­tern, ich will, dass sie gelöst wer­den.

Die­se Ver­ant­wor­tung, das nun auch wirk­lich hin­zu­be­kom­men, tra­gen wir alle. Wir wer­den hier in den nächs­ten Tagen und Wochen bewei­sen kön­nen und müs­sen, was uns hier lei­tet: par­tei­po­li­ti­sche Spiel­chen oder eine gute Auf­stel­lung unse­rer Stadt.

Ich bin über­zeugt, dass es bei den meis­ten hier letz­te­res ist. Also packen wir es an!

Vie­len Dank