Einen Tag nachdem die CDU/CSU im Deutschen Bundestag lieber mit Nazis stimmte, als mit Demokrat*innen zu verhandeln, habe ich am 30.01.2025 im Abgeordnetenhaus von Berlin im Rahmen der aktuellen Stunde zum Gedenken an 80 Jahre Befreiung von Auschwitz gesprochen. Die aktuelle Situation macht mir Angst.(Videoquelle: rbb; Foto: Alisa Raudszus)
Hier der Text meiner Rede in voller Länge (es gilt das gesprochene Wort):
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Sehr geehrte Damen und Herren,
erst 1932 zog die NSDAP hier in dieses Haus, dem damaligen Preußischen Landtag, ein. Und schon im Mai 33, stimmte eben dieser Landtag gegen die Stimmen der SPD einem Ermächtigungsgesetz für Preußen zu. Danach trat der Landtag nie wieder zusammen.
In dieser Woche erinnern wir der 6 Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden und der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Wir erinnern als Landesparlament heute der 55.696 ermordeten Jüdinnen und Juden aus Berlin.
Wer den Opfern des Nationalsozialismus gedenkt, der darf nie vergessen, wie schwer es ist, eine Demokratie aufzubauen. Und wie schnell es gehen kann, diese wieder zu zerstören.
Die meisten von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind in einer Zeit aufgewachsen, in der wir das Gefühl hatten, dass alles nur besser wird. Die Wohnungen wurden größer, die Autos breiter, aus dem C64 wurde ein iPhone, statt eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen zu können, durfte ich meinen Mann heiraten und Frauen dürfen in der Ehe nicht mehr vergewaltigt werden.
Doch seit einiger Zeit ist etwas ins Rutschen geraten. Was lange als selbstverständlich galt, ist heute keine Sicherheit mehr.
Viele Menschen in dieser Republik haben Angst. Angst um die liberale Demokratie. Angst, ihre Freiheiten zu verlieren. Angst, dass ihnen ihre Staatsbürgerschaft entzogen und sie ihrer Heimat beraubt werden.
Und diese Angst ist nicht abstrakt, sie spüren, dass sich die Stimmung in diesem Land gegen sie wendet: Weil sie angeblich die falsche Hautfarbe, Herkunft, Religion oder Sexualität haben.
Wenn immer mehr Menschen davon sprechen, dass sie schon auf gepackten Koffern sitzen. Wenn immer mehr Menschen überlegen, ob sie nachts noch das Licht anlassen, dann darf uns das nicht kalt lassen.
Im Gegenteil, wir haben die Pflicht, diese wunderbare und großartige, freiheitliche, vielfältige und gewachsene Demokratie, die uns nun fast schon 80zig Jahre Frieden, Freiheit und Wohlstand geschenkt hat, auch zu verteidigen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
was passiert, wenn die Feinde der Demokratie übernehmen, können wir leider nur zu gut beobachten, wenn wir über die Grenzen Deutschlands hinausblicken.
In den USA wurde ein Mann zum Präsidenten gewählt, der unverhohlen damit prahlt, für einen Tag Diktator sein zu wollen.
In Ungarn wird jede Form der Rechtsstaatlichkeit zerstört und die Medien gleichgeschaltet.
In Österreich müssen wir hautnah erleben, dass die konservative Partei ihr Versprechen aus dem Wahlkampf bricht und einer rechtsradikalen Partei zur Kanzlerschaft verhilft.
Und auch hier in Deutschland sehen wir, dass der Kanzlerkandidat der konservativen Partei sein Wort bricht und keine zwei Monate zu seinem eigenen Vorschlag steht, keine Gesetze und Abstimmungen mit der in großen Teilen rechtsextremen AfD durch das Parlament zu bringen.
Gestern hat sich die vermeintlich christliche Volkspartei erstmals eine Mehrheit mit einer rechtsextremen Partei im Bundestag verschafft. Das war ein Dammbruch.
Gestern wurde im Bundestag sehenden Auges der Schutzwall für unsere Demokratie eingerissen, ohne die Folgen auch nur in den Blick zu nehmen.
Wer soll dem wortbrüchigen Friedrich Merz denn jetzt noch vertrauen, dass die CDU/CSU nach der Wahl keine gemeinsame Sache mit der AfD macht. Wer soll dem wortbrüchigen Friedrich Merz noch glaube, wenn er schon jetzt im Wahlkampf leichtfertig mit der Zukunft unserer Demokratie spielt.
Die CDU/CSU hat gestern im Bundestag eines klar gemacht: Sie stimmt lieber mit Nazis, als dass sie mit Demokraten verhandelt.
Sie holen lieber die AfD aus der Tabuzone, als im demokratischen Spektrum, um Lösungen zu ringen. Ich kann in Worten nicht beschreiben, wie entsetzt ich bin.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
unsere Berliner Ehrenbürgerin und Holocaustüberlebende Margot Friedländer warnte schon vor einem Jahr: “So hat es damals auch angefangen.”
Das ist nicht nur Mahnung, das ist Auftrag zugleich. Es ist unsere Aufgabe, die Meinungsvielfalt im demokratischen Spektrum klar herauszuarbeiten.
Und so sehr wir die Unterschiede herausarbeiten müssen, so sehr wir das im demokratischen Lager mit Respekt gegeneinander tun müssen, so sehr wäre es die Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten gewesen, dass die Brandmauer gegen Faschisten und Rechtsextreme auch bestehen bleibt.
Und anwesende Kolleginnen und Kollegen von der CDU, hier kommt vor allem ihnen eine sehr große Verantwortung zu. Was gestern passiert ist, was Ihr Kanzlerkandidat gestern aus wahlkampftaktischen Gründen getan hat, ist ein Dammbruch in unserer Demokratie. Ihre Bundestagsfraktion hat gestern mit der klaren demokratischen und europäischen Politik von Adenauer, Kohl und Merkel gebrochen.
Gestern wurden Nazis einen Schritt mehr hoffähig gemacht und das ganz ohne Sinn und Verstand.
Denn weder werden die Gesetze und Vorschläge, die gestern und wohl dann auch morgen mit Hilfe der Rechtsextremen beschlossen wurden und werden, vor den Gerichten Bestand haben, noch sind sie mit europäischem Recht vereinbar.
Erst vor kurzem wurde GEAS auf europäischer Ebene und das Sicherheitspaket auf Bundesebene beschlossen. Es ist kein Geheimnis, dass ich persönlich beiden kritisch gegenüberstand. Aber wenn sie nun schon beschlossen sind, muss unser Augenmerk doch auf der Umsetzung liegen und nicht darauf, im Wochentakt neue und noch dazu europarechtswidrige und untaugliche Maßnahmen zu beschließen!
Sie versprechen den Menschen etwas, das sie später nicht werden halten können.
Kein Wahlkampf-Move darf es wert sein, dafür mit der Demokratie zu spielen. Und als Randbemerkung: ich empfinde es als beschämend, dass auch wir hier und heute es bei einem solch wichtigen Thema zum wiederholten Male nicht geschafft haben, diese Aktuelle Stunde gemeinsam unter allen demokratischen Parteien anzumelden. Auch das ist ein Zeichen des Verfalls der bisherigen demokratischen Sitten.
Wer heute 80 Jahre Befreiung Auschwitz gedenkt, der muss auch Gedenken wie alles begann. Wie sukzessive die NSDAP hoffähig gemacht wurde, wie man glaubte Hitler zu entzaubern wenn man ihn an die Macht lässt. Und wie schnell dann alles ging.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
der gestrigen Tag, dieser Dammbruch der begangen wurde, der macht mir Angst. Denn ich habe Angst um unsere freiheitliche Demokratie.
Aber diese Angst spornt mich an, sie spornt mich an, für unsere Demokratie zu kämpfen, denn sie ist das Beste, was uns je passieren konnte.